Zur Geschichte der Stiftung Waisenhaus

Über 300 Jahre wechselvolle Geschichte hat die Stiftung Waisenhaus in Frankfurt am Main überdauert. 1679 gegründet, gehört sie zu den altehrwürdigen großen Frankfurter Stiftungen mit sozialem Auftrag. Aus Anfängen, die auf Privatinitiative aus dem christlichen Bürgertum zurückgehen – dazu gehören um nur einige Namen zu nennen: der Arzt Dr. Johann Hartmann Beyer, der pietistische Pfarrer Dr. Philipp Jakob Spener und der Schatzungsschreiber Johann Moritz Altgelt -, ist eine öffentlich milde Stiftung entstanden, die heute einen nicht wegzudenkenden Beitrag zu den sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben der Stadt Frankfurt am Main leistet.

Das Waisenhaus, gegründet um die sozialen Probleme der öffentlichen Armut zu lindern, hat in den vergangenen über 320 Jahren den Wechsel und die Entwicklung der unterschiedlichsten politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ordnungsbedingungen und Wertesysteme erlebt und überdauert. Die Frauen und Männer, die die Verantwortung in den über drei Jahrhunderten zu tragen hatten, haben die jeweiligen Zeichen der Zeit und den Wechsel der sozialen Fragen erkannt. Die Entwicklung des Auftrages von der “Abhilfe gegen den Straßenbettel” über die Gründung einer Waisenerziehungsanstalt, die völlige Abkehr davon und die Hinwendung zur Familienpflege der Kinder und schließlich die Sorge für die Erziehung, Schul- und Berufsbildung von Waisen, Halbwaisen und Kindern in vergleichbaren Lebenssituationen, stehen dafür.

Besonders das 20. Jahrhundert mit den zwei Weltkriegen, Inflation, Währungsreform und wirtschaftlichen Einbrüchen, erforderte alles Geschick durch Pflegamt und Verwaltung, diese schwere Zeit und die damit verbundenen finanziellen Krisen zu meistern und die Substanz der Stiftung zu erhalten. Ohne das vorhandene Vermögen der Stiftung Waisenhaus wären die Leistungen für das Gemeinwohl in der Stadt Frankfurt am Main und für ihre Bürger nicht denkbar. Die Leistungen gehen über die Betreuung und finanzielle Förderung Frankfurter Voll- und Halbwaisen und deren Gleichgestellten weit hinaus.

Die Förderung und der Bau sozialer Einrichtungen (Sozialzentren, Behinderten- und Alteneinrichtungen, sozialer Wohnungsbau) sowie die Zurverfügungstellung von Gelände für besondere Ausbildungsstätten und Ansiedelung von Wirtschaftsbetrieben, stellen bedeutende Leistungen der Stiftung Waisenhaus für die Bürger der Stadt Frankfurt am Main dar.

Sie lassen eine enge Verzahnung Frankfurter Kommunalpolitik mit der schon traditionellen Stiftungs- und Spendenbereitschaft der Bürger erkennen. Das Vermögen der Stiftung Waisenhaus, das dies alles ermöglicht, ist insbesondere durch eine Anzahl von größeren Vermächtnissen aus der Bürgerschaft des 18. Jahrhunderts und durch die Vermögenspolitik der Pflegämter und der Verwaltung entstanden.

Vor allem aber ist dem ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Adickes zu verdanken, dass eine vorausschauende Grundstückspolitik betrieben und so das Vermögen erhalten wurde.

Obwohl es im Zeitalter der staatlichen Daseinsvorsorge und eines gut ausgebauten sozialen Netzes weniger existenzielle Nöte gibt, ist eine Bürgerstiftung wie das Waisenhaus keinesfalls überflüssig geworden. Die Aufgaben haben sich lediglich verändert, bedingt durch den gesellschaftlichen und sozialpolitischen Wandel in Frankfurt am Main. Die Zahl der Einelternfamilien, die am Rande des Existenzminimums leben, nimmt statistisch von Jahr zu Jahr zu. Die Stiftung Waisenhaus versucht, durch eine individuelle materielle und persönliche Hilfe, die Not dieser Familien gerade in den kritischen Jahren der Erziehung und Ausbildung der Kinder zu mildern.

Die Stiftung hat sich in den letzten Jahren wieder auf ihre alten Wurzeln und Traditionen besonnen. In den vergangenen Jahrhunderten war sie der Träger der Jugendhilfe und Jugendfürsorge in Frankfurt am Main und in diesem Zusammenhang auch Träger von Einrichtungen. Erst im 20. Jahrhundert ist dieser Aufgabenbereich stärker auf die öffentliche Verwaltung und auf andere freigemeinnützige Träger übergegangen. Die Aufgaben der Stiftung verlagerten sich im Wesentlichen auf finanzielle und pädagogische Förderung im Rahmen von Einzelfallhilfen.

Anfang 1994 wurden im Auftrag des Pflegamtes die ersten Kontakte von Seiten der Stiftungsverwaltung mit dem Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main aufgenommen, mit der Überlegung wieder eine Kindereinrichtung, die für den Stiftungszweck geeignet ist, in Eigentum und Betriebsträgerschaft zu übernehmen.

Bereits in den Jahren 1995 bis 1998 wurde nach entsprechenden Beschlüssen durch das Pflegamt der Stiftung und der städtischen Körperschaften von der Stiftung ergänzend zum ambulanten Hilfebereich ein differenziertes, stationäres Leistungsangebot aufgebaut. Die Einrichtungen wurden überwiegend von der Stadt Frankfurt am Main in das Eigentum der Stiftung und in ihre Betriebsträgerschaft überführt und mit neuen betriebswirtschaftlichen und sozialpädagogischen Konzepten weitergeführt. Bestehende Überkapazitäten wurden abgebaut und neue Angebote wurden durch Zukauf einer Liegenschaft von privater Seite deutlich ausgeweitet.

Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bereits vor den Betriebsübergängen in den Häusern beschäftigt waren, wurde die Übernahme durch die Stiftung auf der Grundlage einer vollen Besitz- und Rechtsstandssicherung angeboten. Das Angebot wurde überwiegend angenommen, so dass eine Kontinuität in der Betreuung und Pflege der Kinder und Jugendlichen stets gewährleistet war.

Im Einzelnen wurden von der Stiftung folgende Häuser übernommen und betrieben:

  • Ab 1. April 1995
    Mutter-Kind-Haus,
    Scheidswaldstraße 32 – 36, 60385 Frankfurt am Main
  • Ab 1. Januar 1996
    Kinder- und Jugendheim Buchenrode,
    Niederräder Landstraße 38, 60528 Frankfurt am Main
  • Ab 1. Januar 1996
    Therapeutische Wohngemeinschaft Buchenrode,
    Niederräder Landstraße 40, 60528 Frankfurt am Main
  • Ab 1. Januar 1998
    Therapeutische Wohngemeinschaft Buchenrode,
    Niederräder Landstraße 42 – 42 a,
    60528 Frankfurt am Main
    Die große Nachfrage nach Plätzen in der Therapeutischen Wohngemeinschaft aufgrund des spezifischen Angebotes und des hohen Leistungsstandards veranlasste die Stiftung zu einer Kapazitätsausweitung in der o. a. Liegenschaft, die von der Stiftung zusätzlich erworben werden konnte.
  • Ab 1. Januar 1998
    Kinder- und Jugendheim Paul-Ehrlich-Straße,
    Paul-Ehrlich-Straße 59, 60596 Frankfurt am Main
  • Ab 2004
    Mit der Fachstelle für "Kinder von psychisch kranken Eltern" (jetzt: Therapeutische Fachstelle für Kinder und Jugendliche) eröffnet das Waisenhaus ein neues Angebot.
  • Am 1. Juli 2013
    Nach nur 18 Monaten Bauzeit wurde das neue Mutter-Kind-Haus im neuen Stadtviertel Riedberg bezogen.
  • Ab 1. Juli 2013
    Mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe eröffnet die Stiftung ihr drittes ambulantes Angebot, welches in 2016 aufgrund des großen Angebotes anderer freier Träger wieder beendet wurde.

Auch in Zukunft wird sich die Stiftung im Rahmen ihrer Möglichkeiten neuen Aufgabenbereichen zum Wohle von Kindern und Jugendlichen stellen.